„Europäische Errungenschaften und gemeinsame Werte verteidigen“

Jean Asselborn war von 2004 bis 2023 Minister für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten von Luxemburg. In seinem Beitrag befasst er sich mit der Entwicklung Europas in Zeiten von Populismus und Krieg - und wie Programme wie Erasmus+ dem entgegenwirken.

Das europäische Friedensmodell ist bedroht

Europa steht am Scheideweg. Dieser vielbemühte Satz war nie so wahr wie heute. Francis Fukuyama sollte mit seiner These vom Ende der Geschichte nicht recht behalten. Das demokratische Modell westlicher Prägung hat sich nicht endgültig als Ordnungsmodell durchgesetzt und schlimmer noch, die Welt war nie so unsicher wie heute. Dies gilt insbesondere auch für unseren europäischen Kontinent, auf dem der Krieg zurückgekehrt ist. Zum ersten Mal seit dem Fall der Mauer gibt es, mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine konkrete Bedrohung des europäischen Friedensmodells. Dies ist in der Tat, wie Bundeskanzler Scholz es beschrieben hat, eine Zeitenwende, und dies aus mehreren Blickpunkten.

Gewinnt Putin diesen Krieg in der Ukraine, wird er sich damit nicht begnügen. Russland ist stärker, wenn es Krieg führt. Im Frieden hat es nicht viel zu bieten, so seine Denkweise. Die EU hat kurz nach dem 24. Februar 2022 mit der Sanktionspolitik gegen Russland und der militärischen Hilfe für die Ukraine die richtigen Weichen gestellt, sie muss nun diese Politik konsequent weiterführen.

Die Bedrohung, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgeht, hat uns auch gezwungen, unsere Verteidigungsindustrie rasch auszubauen, nicht nur, um die Ukraine zu unterstützen, sondern auch, um uns selbst auf diese neue Bedrohungslage einzustellen.

Europa kann nur gemeinsam stark sein

Mit dieser neuen Bedrohungslage erhält auch die Notwendigkeit des internen Zusammenhalts der EU eine ganze neue Bedeutung. Ohne ein Bewusstsein, dass wir nur gemeinsam stark sein können auf der internationalen Bühne, machen die oben genannten Anstrengungen wenig Sinn. Das wissen auch unsere Gegner, und es ist nicht von ungefähr, das Russland und andere uns wenig freundlich gesinnte Staaten durch sehr ausgeklügelte Desinformationskampagnen versuchen, einen Keil zwischen unsere Gesellschaften zu treiben. Von je her besteht hier der einfachste Weg darin, uns auseinander zu treiben und anfällige Mitgliedstaaten in diesem Sinne zu unterstützen.

Damit die EU für junge Menschen ein Friedensprojekt bleibt darf es keinen Millimeter Spielraum geben, um die Rechtsstaatlichkeit zu verbiegen, das heißt, die Gewaltentrennung zu unterminieren, die Unabhängigkeit der Justiz in Frage zu stellen oder die Freiheit der Medien einzuschränken. Es gibt keine Demokratie ohne Gegengewichte und ohne Kontrolle.

Den Zusammenhalt festigen

Ein wichtiges Mittel, den Zusammenhalt der Bürger in der EU zu festigen, ist, sich besser zu kennen und so Vorurteile abzubauen. Dies sollte schon in der Jugend anfangen mit Studienreisen, oder den Möglichkeiten, die Bildungsaustausche bieten. Zentrale Elemente sind hier das Europäische Solidaritätskorps und das Erasmus-Programm. Persönlich hatte ich die Gelegenheit, vor ein paar Tagen junge Schülerinnen und Schüler aus Deutschland, Spanien und Belgien in einem Gymnasium in Luxemburg zu treffen. Dabei war es wichtig, ihnen zu vermitteln, dass sie Erasmus+ der EU zu verdanken haben, genauso wie die Möglichkeit, frei in 25 Schengen-Staaten, einer zusammenhängenden Region von 400 Millionen Einwohnern, zu reisen. Ein weltweit einzigartiger Raum.

Mit Initiativen wie dem Erasmus-Programm wurde ein einzigartiger gemeinsamer europäischer Bildungsraum geschaffen, in dem Lernende und Wissen frei zirkulieren können. So wurde ein beeindruckender Beitrag geleistet, um Schülerinnen und Schüler, Studierende und Lehrkräfte noch enger zusammenzubringen und ihnen zu erlauben andere Kulturen und Systeme kennenzulernen. Seit der Einführung des Programms vor 35 Jahren konnten inzwischen 13,7 Millionen Menschen davon profitieren, um sich weiterzubilden und neue Erfahrungen zu sammeln. Dank der EU.

Bildungsprogramme gegen Bildungsbarrieren

Dennoch hat nur ein Bruchteil – 15 Prozent, um genau zu sein – der europäischen Hochschulabsolventen im Ausland studiert. Es besteht also durchaus Luft nach oben und es ist in diesem Sinn, dass die EU-Kommission kürzlich einen erneuerten Rahmen für die Mobilität zu Lernzwecken vorgeschlagen hat. Ziel ist es die Lernmobilität in alle Bereiche der allgemeinen und beruflichen Bildung zu integrieren und es in Zukunft mindestens 25 Prozent der Hochschulabsolventen zu erlauben über Mobilitätserfahrung zu verfügen.

So werden mit Programmen wie Erasmus+ oder dem Europäischen Solidaritätskorps nicht nur Bildungsbarrieren abgebaut, sondern auch Brücken zwischen EU-Staaten und ihren Bürgern geschaffen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zu einem besser vernetzten, gebildeten und fähigen Europa, einem Europa, das zusammensteht und bereit ist, die europäischen Errungenschaften und gemeinsamen Werte nach außen hin wirksam zu verteidigen.

Zur Person

Jean Asselborn war bis Ende 2023 Außenminister von Luxemburg – und hat während seiner fast zwei Jahrzehnte währenden Amtszeit auf europäischer und internationaler Bühne einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er ist ein überzeugter und engagierter Europäer, der sich stets für die gemeinsamen Werte von Freiheit und Demokratie stark gemacht hat – und immer noch macht.

Bildnachweis oben © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons; Bearbeitung: PAD)

Schwerpunkt: Teilhabe und Partizipation mit Erasmus+
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