Ankommen in Europa – Wie Integration funktionieren könnte

Am Gymnasium Lehrte verglichen Jugendliche Konzepte zur Flüchtlingsintegration in der EU. Das Erasmus-Projekt ist eine von vielen Initiativen, mit der die Schule die politische Teilhabe fördern möchte.

Europa steht unübersehbar im Mittelpunkt. Ein Klick auf den Erasmus-Link der Schulwebsite und es öffnet sich ein Schaubild. In der Mitte, ein blauer Kreis mit der Aufschrift „Europa am Gymnasium Lehrte“. Drumherum, wie Planeten um die Sonne, weitere Kreise. Sie symbolisieren Schulprojekte, die das Interesse an der Kultur, der Politik und den Menschen jenseits der eigenen Landesgrenzen wecken wollen. Wer beispielsweise wissen möchte, wie die EU funktioniert, kann sich an einem der „Info-Points“ in der Schule schlau machen. Im Debattierclub lernen Jugendliche, klug und fair zu diskutieren. Und Juniorbotschafterinnen und -botschafter werben dafür, sich für Europa zu engagieren. Zum Beispiel im Rahmen von Erasmus+.

Für ihr Projekt „Refugee Crisis: New Concepts, New Ideas and New Chances“ entwickelten die Lehrerin Lena Busch und ihr Kollege Klaus Perk ein ambitioniertes Konzept. Die Schülerinnen und Schüler sollten erfolgversprechende Strategien und vorbildhafte Projekte zur Integration von Zuwanderern in verschiedenen europäischen Ländern recherchieren und bei Besuchen kennenlernen.

Schwerpunkt des Projekts waren Teilhabe und Inklusion.

„Die Flüchtlingspolitik ist ein wichtiges Thema, das die gesamte EU betrifft und deshalb über die Grenzen hinweg diskutiert werden sollte. Dazu wollten wir mit unserem Erasmus-Projekt einen Beitrag leisten.“

Integration als Herausforderung

2018 begann die zweieinhalbjährige Kooperation mit zwei Partnerschulen in Frankreich und Italien. Die Flüchtlingskrise als gesamteuropäische Herausforderung eignete sich nach Einschätzung Lena Buschs besonders gut für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit: „Wir haben unterschiedliche Projekte, Maßnahmen und Ideen kennengelernt, die zeigten, wie sich die Herausforderungen der Integration meistern lassen.“

Bei der Stadt Hannover informierten sich die Jugendlichen über kommunale Angebote für geflüchtete Menschen, die Industrie- und Handelskammer (IHK) stellte berufliche Eingliederungsmaßnahmen vor und ein gemeinnütziger Verein zeigte, wie Ehrenamtliche, Verbände und Sponsoren erfolgreich miteinander kooperieren. Der Wohlfahrtsverband hilft beispielsweise mit Beratungsangeboten, und ein großer deutscher Autobauer stellt nicht nur ein Fahrzeug zur Verfügung, sondern vermittelt jungen Migranten auch Ausbildungsplätze. Bei einer gemeinsamen Diskussion berichteten die Erasmus-Gäste aus Italien und Frankreich über Initiativen in ihren Heimatländern. Dass sie damit selbst zu gefragten Gesprächspartnern wurden und auf Augenhöhe mit den Fachleuten kommunizierten, war eines der Projektziele.

Theoretische Grundlagen und praktische Begegnungen

Lena Busch und Klaus Perk erarbeiteten mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Frankreich und Italien fünf Module. Die Schülerinnen und Schüler recherchierten zunächst Daten, Fakten und Zusammenhänge: Auf welchen rechtlichen Grundlagen beruht die Flüchtlingspolitik? Welche Integrationskonzepte in Bildung und Erziehung haben sich als erfolgreich erwiesen? Was leisten private Initiativen und Nichtregierungsorganisationen? Und wie gelingt die berufliche Integration von Migranten? Dieses Wissen erwies sich als wertvolle Grundlage bei späteren Interviews, Diskussionen und Begegnungen.

Bei einer Onlineveranstaltung der italienischen Partner versetzten sich die Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren in die Rolle von EU-Politikern, NGO-Vertretern und Experten und diskutierten über Integration auf dem Arbeitsmarkt. Dass Politik bestenfalls Weichen stellen kann, erlebten sie beim Treffen mit Street-Art-Künstlern in Frankreich. Dort traf Eigeninitiative auf ehrenamtliches Engagement. Die Migranten hatten ihre Fluchtgeschichten in Kunstwerken verarbeitet und verkauften sie. Die Räume, in denen sie malten und sprayten, stellte ihnen eine private Initiative zur Verfügung.

Eigene Erfolgsrezepte weitergeben

„Die Schülerinnen und Schüler haben erlebt, dass Integration am besten funktioniert, wenn man kooperiert. Das kann jeder – und sei es nur, jemandem, der kein Deutsch versteht, am Fahrkartenautomaten zu helfen“, meint Lena Busch. Sie betont, dass es den Erasmus-Partnern nicht darauf ankam, neue Konzepte der Flüchtlingsintegration zu entwickeln, sondern von Bewährtem zu lernen und eigene Erfolgsrezepte weiterzugeben. So wie es die Sprachlernklassen am Gymnasium Lehrte für Neuankömmlinge in Deutschland taten. Ein Erasmus-Teilnehmer ließ sich von einem Lehrer in einem Interview erklären, wie das funktioniert. Das Video dazu ist Teil einer umfangreichen Onlinesammlung mit Filmen, Podcasts und Dokumenten, die andere Schulen nutzen können, beispielsweise für eigene Erasmus-Projekt.

Dazu möchten Lena Busch und ihr Kollege Klaus Perk ausdrücklich ermuntern. Denn ihr Konzept sei aufgegangen, freut sich die Lehrerin: „Die Jugendlichen haben sich mit einem wichtigen aktuellen Thema kritisch auseinandergesetzt und gelernt, was politisches und gesellschaftliches Engagement bewirken kann.“ Und dass sie dafür das Prädikat „Success Story“ erhielten, so Lena Busch, „macht mich stolz“.

Eigene Standpunkte entwickeln, ohne Parolen zu übernehmen

Klaus Perk ist stellvertretender Leiter des Gymnasiums Lehrte und engagiert sich für den Debattierclub der Schule.

Warum war es Ihnen wichtig, das Thema Flüchtlingsintegration in der Schule zu behandeln?
Unser Bildungsauftrag ist es, die Schüler und Schüler zu verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. Dazu gehört es, sich kritisch mit dem Thema Flucht und Migration auseinanderzusetzen und eigene Standpunkte zu entwickeln, ohne Parolen zu übernehmen.

Welche überraschenden Momente haben Sie erlebt?
Wir haben bei unseren Schülerinnen und Schülern vieles entdeckt, was uns im normalen Unterricht möglicherweise verborgen geblieben wäre. Sie waren hochmotiviert, hartnäckig bei der Sache, und selbst wenn es einmal Probleme gab, sind sie lösungsorientiert damit umgegangen. Sie haben die internationale Projektarbeit wirklich bestens gemeistert.

Welche Lernerfolge konnten Sie erzielen?
Wir haben die sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler erheblich fördern können. Viele sind selbstbewusst geworden, was internationale Kontakte betrifft und möchten gerne ins Ausland gehen. Den Projekterfolg ermessen wir aber nicht allein am Lernzuwachs. Ebenso wichtig war uns die Begeisterung der Jugendlichen. Dadurch fühlen wir uns bestärkt, dass wir mit unserem Kurs der Europaorientierung genau richtig lagen.