Von der Schulpartnerschaft zum Erasmus-Kurzzeitprojekt
Möglichst allen Jugendlichen eine erste Auslandserfahrung und damit einen neuen Blick auf sich selbst ermöglichen: Dieses Ziel verfolgt Michaela Gelke mit Erasmus+ an der Gesamtschule Aspe im ländlichen Ostwestfalen.
„Ich bin mit dieser Handvoll aufgedrehter Kinder einmal quer durch Paris mit der Metro gefahren, damit sie vor dem Umstieg noch kurz den Eiffelturm sehen konnten“, berichtet Michaela Gelke von ihrem ersten Erasmus-Projekt und lacht. Sie unterrichtet Englisch und Französisch an der Städtischen Gesamtschule Aspe in Bad Salzuflen (Nordrhein-Westfalen) und pflegt schon seit vielen Jahren den Kontakt zu einer Partnerschule in Frankreich. Als die dortige Deutschlehrerin sie fragte, ob sie bei einem gemeinsamen Projekt mit Erasmus+ mitmachen würde, stimmte Gelke begeistert zu. Im Mai 2023 fand die letzte Begegnung an der Partnerschule in Litauen statt. Um den europäischen Austausch fortführen zu können, beantragte Gelke deshalb für ihre Schule ein Kurzzeitprojekt – und konnte nach der Bewilligung gleich die ersten Aktivitäten für 2024 organisieren. Dabei entschloss sie sich auch erstmalig den Inklusionszuschuss bei Erasmus+ zu nutzen.
„Das Gute am Inklusionszuschuss ist: Es muss nichts für einzelne Jugendliche durch Dokumente nachgewiesen werden, sondern es wird mir als Lehrerin vertraut. Ich muss also nicht zu den Eltern gehen und nach deren Gehalt fragen, sondern ich kann es einfach ankreuzen.“
Mut zur Mobilität
In den Vorbereitungen zum ersten gemeinsamen Erasmusprojekt stellten Gelke und ihre Kolleginnen aus Frankreich und Litauen fest, dass es ein Thema gab, das alle drei Schulen beschäftigt: Der Umgang mit Jugendlichen, die häufig fehlen und wenig Motivation im Unterricht zeigen. Deshalb sprachen sie für die Austauschbegegnungen gezielt solche Schülerinnern und Schüler an. „Die meisten hatten keine guten Noten in Englisch und trauten sich die Reise deshalb nicht zu. Einige haben mich sogar gefragt: Sind Sie sich da ganz sicher, dass Sie ausgerechnet mich mitnehmen wollen?“, erinnert sich Gelke. Umso größer war die Begeisterung der Jugendlichen, als sie mitkommen durften und dort beim Austausch mit Gleichaltrigen ins Gespräch kamen.
„Wir haben auch festgestellt, wie dankbar die Eltern waren. Einer unserer Schüler, der damals in der 7. Klasse war, besucht tatsächlich mittlerweile unsere Oberstufe. Der Austausch hat bei ihm so viel angestoßen, dass er jetzt auch in andere Klassen geht und davon erzählt.“ Die Förderung durch Erasmus+ spielt dabei nach Gelkes Erfahrung eine wichtige Rolle: Gerade Jugendliche aus einkommensschwachen Familien würden sich anmelden, weil auf die Eltern weniger Kosten zukommen als bei kommerziellen Anbietern von Schulaustausch. „Wir haben in den vergangenen Jahren auch die Erfahrung gemacht, dass sich viele Kinder nicht ins Ausland trauen. Es war für sie fast eine Mutprobe, an solchen Begegnungsreisen teilzunehmen.“
Was haben Sie als Lehrerin davon, wenn Sie Jugendliche bei einer Austauschbegegnung begleiten?
Meine Erfahrung nach 23 Jahren ist, dass Austauschbegegnungen die Beziehung zu den Schülern auf eine andere Ebene heben. Man ist beispielsweise eine Woche lang mit sechs Kindern unterwegs und verbringt viel Zeit miteinander. Dabei kann man auch persönliche Gespräche führen und die Jugendlichen auch auf ihre Stärken aufmerksam machen. Ich stamme selbst aus einem Elternhaus, in dem Reisen nicht selbstverständlich war. Wenn es Jugendlichen durch mich im Rahmen von Schule zum ersten Mal ermöglicht wird, eine Auslandserfahrung zu machen, dann finde ich das großartig. Meiner Erfahrung nach sind es die vermeintlich schwierigen Kinder, die von Auslandsaufenthalten am meisten profitieren. Gerade sie wachsen dabei über sich hinaus und tragen viel dazu bei, dass der Austausch gelingt.
Mit welchen Schulen im Ausland arbeiten Sie bei Erasmus+ zusammen?
Der Kontakt zu der Schule in Litauen ist über ein internationales eTwinning-Seminar zustande gekommen. Unsere türkische Partnerschule ist eine Eliteschule in Adana, an der die Schülerinnen und Schüler eine Aufnahmeprüfung machen müssen. Unsere Partnerschule in Südfrankreich dagegen ist in einer ähnlichen Situation wie wir – ländlicher Raum, fast ein Drittel der Eltern hat ein sehr geringes Einkommen oder bezieht Sozialhilfe. Die Partnerschule in Polen wiederum ist ein Internat, das nur von Jungen besucht wird, die vom Jugendamt aus ihren Familien herausgenommen wurden. Sehr viel diverser geht es eigentlich nicht. Am Anfang waren wir deshalb auch sehr vorsichtig und dachten, dass nur die „Vorzeigekinder“ teilnehmen sollten. Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir vor allem die Kinder mitnehmen wollen, die mit ihren Eltern nicht häufig ins Ausland reisen.
Sie möchten in Zukunft auch Auslandspraktika für Schülerinnen und Schüler mit Erasmus+ fördern lassen. Wie soll das ablaufen?
Wir haben mittlerweile sehr gute Kontakte zu allen unseren Partnerschulen. Die Lehrkräfte dort helfen auch bei der Vermittlung. So hat beispielsweise der Ehemann einer Lehrerin angeboten, dass Schüler in seine Physiotherapiepraxis für Praktika kommen können. Ohne solche Unterstützung sind Auslandspraktika fast nur für privilegierte Kinder zu bekommen, deren Eltern in internationalen Firmen arbeiten oder Bekannte haben. Ich hatte selbst vor vier Jahren angehende Industriemechaniker aus Frankreich als Praktikanten zuhause zu Gast und habe sie hier an kleinere Betriebe bei uns vor Ort vermittelt.