Mathe trifft Kunst – Geometrie genial genutzt

Wie man die Schönheit der Mathematik vermittelt, zeigt das Projekt der Goetheschule Wetzlar. Die Schülerinnen und Schüler erschufen mit Hilfe einer Geometrie-Software eigene Kunstwerke.

Die Alhambra im spanischen Granada gilt als herausragendes Beispiel maurischer Kunst und Architektur in Europa. Seit 1984 zählt sie zum Weltkulturerbe. Dort trafen sich 2018 Schülerinnen und Schüler aus Spanien, Italien, Griechenland und Island sowie dem hessischen Wetzlar. Mit ihrem Erasmus-Projekt „Double sense 'Ways with Maths' or 'World wide Maths'" (WWM), wollten sie einen Beitrag zum Europäischen Jahr des Kulturerbes leisten und Wissenschaft und Kunst kreativ verbinden.  

Im reich verzierten Alcázar-Palast in Sevilla nahmen sie Mosaike unter die Lupe, die islamische Künstler im Mittelalter erschaffen hatten. Die Meister von damals benötigten dazu nicht nur Fantasie und handwerkliches Geschick, sondern auch mathematisches Wissen. Denn ohne Kenntnisse der Geometrie wären ihnen die raumfüllenden symmetrischen Konzeptionen kaum gelungen. Eine Nummer kleiner, aber mit Elan und Wissensdurst, gingen die Jugendlichen bei „WWM“ zu Werke und entwarfen ihre eigenen Mosaike. Statt Zirkel und Geodreieck nutzten sie dafür die Open-Source-Software „GeoGebra“, mit der sich mathematische Objekte aus Geometrie, Algebra und Analysis digital am Computer darstellen lassen.

Website

Die europäische Zusammenarbeit, die Mathematik mit Kulturgeschichte kombiniert, ist auf der Projektwebsite dokumentiert.

Schwerpunkt des Projekts war die Digitalisierung des Unterrichts.

Meike Stamer unterrichtet Mathematik und Sport an der Goetheschule in Wetzlar.

„Im Europäischen Jahr des Kulturerbes wollten wir Mathe und Kultur zusammenbringen. Dass uns das gelungen ist, zeigen die eindrucksvollen Ergebnisse und positiven Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler.“

Die Schönheit der Mathematik

Die Idee zum Projekt stammt von der Gymnasiallehrerin Meike Stamer, die an der Wetzlarer Goetheschule Mathematik und Sport unterrichtet. Wenn sie von ihrem Lieblingsfach spricht, gerät sie ins Schwärmen: „Mathematik ist einfach schön. Es gibt ein Richtig, es gibt ein Falsch. Und es ist ein Glücksgefühl, wenn sich Probleme lösen lassen.“ Mit diesem Antrieb tüftelt die 51-Jährige seit Jahren an immer neuen, anspruchsvollen Lehrkonzepten. Wie spannend es ist, Geometrie im Alltag anzuwenden, darüber war sie sich mit ihren europäischen Projektpartnern schnell einig. Doch vom ersten Geistesblitz bis zum Abschluss waren kreative Ideen, exakte Planung und Flexibilität gefragt.

Sie einigten sich auf ein Konzept, bei dem die Schülerinnen und Schüler zunächst herausragende Bauwerke aus ihren jeweiligen Ländern, Städten und Regionen im TwinSpace von eTwinning vorstellten. Am mächtigen Wetzlarer Dom ließ sich seine über tausendjährige Geschichte anhand unterschiedlicher Baustile demonstrieren. Und auch die enge Verbindung zwischen Architektur und Geometrie ist augenfällig: Überall entdeckt man Bögen, Kreise, Dreiecke, Winkel und Symmetrien.

 

Mathe-Muffeln Mut machen

Die anderen Projektpartner präsentierten: Eine griechische Kathedrale, italienische Kirchen, niederländische Brücken, den berühmten Alcázar-Palast und die Konzerthalle „Harpa“ in der isländischen Hauptstadt Reykjavík. Dank anschaulicher Lehrfilme des multinationalen Teams konnte jeder mithilfe der Geometriesoftware seine eigenen Gebäude konstruieren. Und selbst Mathe-Muffel feierten Erfolge. Meike Stamer erzählt von einer Schülerin, die einen der ersten Plätze beim Videowettbewerb belegte. „Für sie war es eine tolle Erfahrung, Mathe losgelöst vom Notendruck zu erleben“, erzählt die Lehrerin.

Die Reisen waren für die Jugendlichen ein weiterer Anreiz. Gut gerüstet mit geometrischen Kenntnissen, ging es zunächst nach Sevilla. Meike Stamer erinnert sich an den Enthusiasmus ihrer Schülerinnen und Schüler: „Es war großartig, wie sie morgens Alcázar-Palast besichtigten und sich nachmittags gemeinsam an den Rechner setzten und eigene Mosaike kreierten.“ Bei der Exkursion nach Griechenland ließen sie sich von den Mustern antiker Amphoren inspirieren und in den Niederlanden beschäftigten sie sich mit dem Grafiker M. C. Escher, der für seine Kippfiguren und optische Täuschungen bekannt ist.

Fürs Leben lernen

Weitere Begegnungstrips nach Italien und Island scheiterten an den strikten Reisebeschränkungen während der Coronapandemie. Doch dank vieler nützlicher digitaler Anwendungen, die die Schülerinnen und Schüler durch ihr Projekt kennengelernt hatten, setzten sie ihre Zusammenarbeit online fort. Die neuerworbenen Fähigkeiten waren auch für den Distanzunterricht eine Bereicherung, bilanziert Meike Stamer: „Sie haben selbstbestimmter gelernt, nahmen souveräner an Videokonferenzen teil und produzierten eigene Lernvideos, die an unserer Schule weiterhin genutzt werden.“ Auch das eBook, das die Projektpartner zum Abschluss ihrer dreijährigen Kooperation veröffentlichten, zeigt viele anschauliche Anwendungsbeispiele für die Software GeoGebra. Die kleinen Programme und Files sind nicht nur für den Mathematikunterricht nützlich, sondern laden zum Ausprobieren ein. Und wer weiß, ob sich nicht eines Tages eine bedeutende Architektin oder ein beachteter Künstler dankbar an seine engagierte Lehrerin erinnert.

Schülerinnen und Schüler, die über sich hinauswachsen

Wie erklären Sie einem mathematischen Laien die Geometriesoftware?
Damit wird Geometrie anschaulich erfassbar. Wenn ich in GeoGebra einen Vektor definiere, um damit beispielsweise ein Mosaik zu verändern, kann ich beobachten, welche Auswirkung der Vektor auf das gesamte Gebilde hat, wenn ich seine Länge oder Richtung ändere. Es ist also nichts, was in Symbolen im Lehrbuch steht, sondern ich sehe und erfahre unmittelbar, was da gerade passiert.

Wie wichtig waren die persönlichen Begegnungen der jungen Leute für den Projekterfolg?
Wenn man zusammenarbeitet, braucht man einen Arbeitsgegenstand, der in meinen Augen variabel ist. Er bildet die Brücke für die zwischenmenschlichen Begegnungen, die wirklich prägend für die Jugendlichen sind. Sie können nur im realen Leben, bei den Meetings, stattfinden. Besonders wertvoll für mich sind die multinationalen Freundschaften, die sich dabei gebildet haben.

Wie profitiert Ihr Unterricht vom zurückliegenden Projekt?
Es war bereits mein viertes Mathe-Projekt seit 2011. Dadurch verfüge ich über einen beachtlichen Pool von Unterrichtsmaterialien, an denen die Schülerinnen und Schüler mitgearbeitet haben und die ich immer wieder gewinnbringend nutze.