Inklusion

Per Roboter ins Klassenzimmer

Am Inda-Gymnasium in Aachen können erkrankte Kinder per Roboter am Unterricht teilnehmen. Die Idee dazu kam Lehrkräften während einer Erasmus-Fortbildung.

Wenn Lotte in Klasse 6d sich im Unterricht zu Wort melden will, fängt sie erst an zu blinken, spricht dann aus einem Plastikgehäuse und tönt dabei wie eine Astronautin in einem fernen Raumschiff. Der Grund für diese ungewöhnliche Kommunikation ist Avatar "Charly", ein Telepräsenzroboter von der Größe eines Fußballs, der auf einer Bank in der ersten Reihe steht: Zum Sehen hat er eine Kamera. Dazu kommen ein Mikrofon zum Reden und ein Lautsprecher zum Hören. Und damit "Charly" nicht entgeht, was rund um ihn passiert, kann er sich in alle Richtungen drehen. Mit den Augen schließlich zeigt er, wie es ihm gerade geht. Leuchten sie, ist alles in Ordnung. Die Farbe Blau dagegen signalisiert: "Lass mich in Ruhe, mir geht es gerade nicht so gut."

Dass Lotte derzeit nicht selber im Klassenzimmer sitzt, liegt an einer komplizierten Erkrankung. Dass sie dennoch am Unterricht teilnehmen kann, dafür sorgt "Charly", den Lotte von zu Hause mit ihrem iPad steuert. So ist es möglich, dass sie möglichst wenig Unterricht verpasst und auch dabei sein kann, wenn die Klasse einmal zu einer Exkursion unterwegs ist oder einen Geburtstag feiert.

 

Unterricht online verfolgen

Seinen Platz im Klassenzimmer verdankt "Charly" nicht zuletzt den Erasmus+ Projekten der Schule. "Begonnen hat alles während eines Projekttreffens im November 2017 in Finnland", berichtet Uta Steinel-Schrenk, die am Inda-Gymnasium Sozialwissenschaften, Französisch und Evangelische Religionslehre unterrichtet. Weil Neuschnee zahlreichen Schülerinnen und Schülern aus weiter entfernt liegenden Dörfern den morgendlichen Schulweg unpassierbar gemacht hatte, seien die Lehrkräfte wie selbstverständlich auf Onlineunterricht umgestiegen. "Wir saßen gerade mit unseren Schülerinnen und Schülern zur Hospitation im Klassenzimmer und haben das live miterlebt", erinnert sich Uta Steinel-Schrenk an den entscheidenden Moment. Für sie war klar, dass auch in Aachen ein solches Lernen auf Distanz möglich sein müsse, wenn die Umstände es erforderten. "Gemeinsam mit der Schulleitung haben wir entschieden, dass in solchen Fällen der Unterricht online verfolgt werden kann", sagt sie. "Charlys" Weg ins Klassenzimmer ebnete dann eine Präsentation des niederländischen Rotary Club, der die Schule überzeugte.

Bewährungsprobe bestanden

Seine erste Bewährungsprobe trat schon kurz darauf ein, als Uta Steinel-Schrenk einen neuen Schüler in ihre Klasse bekam, der fünf Monate zuvor eine Knochenmarktransplantation hinter sich gebracht hatte und deshalb stundenweise durch Lehrkräfte zu Hause unterrichtet worden war. Die Besuche bei dem Jungen waren allerdings immer mit einem Risiko verbunden. Um aber den Unterricht nicht zu versäumen, kam der Telepräsenzroboter ins Klassenzimmer. Den Namen "Charly" gaben ihm die Schülerinnen und Schüler – in Anlehnung an den im Dom zu Aachen gekrönten Kaiser, aber auch deshalb, weil sich Jungen wie Mädchen so gleichermaßen mit ihm identifizieren können.

Auf den Telepräsenzroboter möchte Uta Steinel-Schrenk nicht mehr verzichten. "'Charly' gibt uns die Möglichkeit, Kinder einzubeziehen, wenn sie zeitweise nicht am Unterricht teilnehmen können, und lässt sie durch sein Auge andere Orte entdecken", fasst sie die Vorteile zusammen. Zu schätzen weiß sie zudem die neuen Kontakte – etwa zur Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft, die einen Erfahrungsaustausch zum Praxiseinsatz des Telepräsenzroboters ermöglicht, aber auch zu anderen Schulen in der Umgebung, denen "Charly" leihweise zur Verfügung steht, wenn er am Inda-Gymnasium nicht gebraucht wird. Mit den Kolleginnen und Kollegen dort kann sie sich zu Fragen rund um inklusiven Unterricht austauschen. Und der Roboter rostet in dieser Zeit nicht ein.

"Schnittstelle zu den Klassenkameraden"

Was hat Sie an dem dahinterliegenden Konzept überzeugt?

Die Idee hat mich sofort angesprochen und fasziniert, denn auch an unserer Schule haben wir jedes Jahr Schülerinnen und Schüler, die aus gesundheitlichen Gründen häufiger fehlen müssen und damit Lernstoff verpassen, der wichtig für sie ist.

Wie haben Sie "Charly" kennengelernt?

Nachdem wir bei einem unserer Erasmus-Projekttreffen in Finnland über das Charly-Projekt gesprochen hatten, baten wir unsere deutschen Partner, Charly zu unserem kurz darauf stattfindenden Treffen in Turin mitzubringen. Wir wollten sehen, wie sich der Telepräsenzroboter einsetzen lässt, und haben ihn am IIS Albert Einstein ausprobiert.

Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie an Ihrer Schule?

Charly ist eine Schnittstelle zwischen dem Mädchen oder Jungen zu Hause, im Krankenhaus oder weit weg – und seinen Klassenkameraden und Klassenkameradinnen sowie der Lehrkraft. Wenn uns die Pandemie irgendetwas gelehrt hat, dann genau das: Die Teilnahme am Unterricht bedeutet die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in diesem Fall zur Klasse. Der soziale Kontakt ist lebensnotwendig. Ob wir Charly einsetzen, ist bei uns noch im Entscheidungsprozess. Wir müssen sehen, wie er finanzierbar ist.

Porträtbild Projektkoordinator.