„Inklusion trifft Emotion: Grenzen gibt es für uns nicht“
Junge Menschen mit Behinderung sammeln viel zu selten internationale Erfahrungen. An der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Detmold hat sich das mit Erasmus+ geändert.
Begonnen hatte es mit einem Traum. »Ich wollte auch unseren Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkt eine Auslandsreise ermöglichen«, erzählt Sonderpädagogin Silvia Leutnant.
An der inklusiven Detmolder Gesamtschule lernen rund 1 100 Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeiten gemeinsam. Etwa 90 von ihnen erhalten zusätzliche Angebote, abgestimmt auf ihre besonderen Bedürfnisse. Viele von ihnen haben kognitive Einschränkungen oder sind in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung beeinträchtigt. Im Lebenspraktischen Training (LPT), zusätzlich zum normalen Unterricht, lernen sie nützliche Fähigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben.
Dazu gehört auch Reisen - da ist sich Silvia Leutnant mit ihrer Kollegin Kathrin Kersting einig. Die Erasmuskoordinatorin unterstützte das Vorhaben sogar während ihrer Elternzeit. Über eTwinning fand die GSG Detmold eine ebenfalls akkreditierte Partnerschule in Spanien. Gemeinsam fassten sie einen Plan: Je sieben Jugendliche mit Förderbedarf aus Gandia und Detmold sollten sich gegenseitig besuchen.

„Für mich war klar: Wenn wir das machen, dann mit Erasmus+, weil es zusätzliche Fördermittel für einen inklusiven Austausch gibt.“
Mit Akribie und Optimismus
Das Austauschprojekt war eine enorme Herausforderung, weil die Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 16 Jahren eine intensive Betreuung benötigten. Das konnte nur mit akribischer Planung und einer Riesenportion Optimismus gelingen. Silvia Leutnant erinnert sich: »Ich habe einfach angefangen, ohne zu ahnen, was auf mich zukommt. Es war unfassbar viel Arbeit.«
Unterstützt wurde das Team von Schulleiter Christoph Trappe sowie den Lehrkräften Jan-Arne Schubert und Musab Torunoglu. Weil einige Kinder keine Pässe besaßen, wurden Termine beim Ausländeramt vereinbart, Formulare ausgefüllt und Passfotos besorgt. Zudem mussten Integrationskräfte als Reisebegleitung organisiert, Buchungen getätigt und nicht zuletzt Eltern überzeugt werden.

„Die Familien erleben so viele Schwierigkeiten und Vorurteile, dass sie es kaum fassen konnten, dass ihre Kinder diese Chance erhielten.“
Völlig neue Erfahrungen
Während des Austauschs in Detmold und Gandia klappte die Verständigung zwischen den Jugendlichen mit Händen und Füßen ‒ und Spickzetteln in Lautschrift: »Mei näm is Zoe. Ei äm sörtin jiers old änd liv in Detmold. Ei leik futbol änd schopping.«
Dass Zoe und die anderen Jugendlichen sich auf völlig neue Erfahrungen einließen, war nicht selbstverständlich. Ein Hotelzimmer zu beziehen, den Koffer auszupacken oder pünktlich zum Frühstück zu erscheinen, mussten sie erst lernen. »Die Jugendlichen haben sich mutig auf unbekanntes Terrain begeben und dadurch wertvolle Fähigkeiten entwickelt«, ist Silvia Leutnant überzeugt.
Besonders gerne erinnert sie sich an einen ihrer Schüler, der im Unterricht kaum erreichbar war. Meistens hatte er seine Kappe und Kapuze tief über die Augen gezogen und reagierte nicht auf Ansprache. Als die Spanier zu Besuch kamen, zeigte er zunehmend neue Seiten seiner Persönlichkeit: Offenherzig, liebenswürdig, hilfsbereit. Auf dem Gruppenfoto in Gandia ist er ohne Mütze, mit einem befreiten Lachen zu sehen. »Da wusste ich, er hat es geschafft«, sagt Silvia Leutnant. Ihr Traum hat sich erfüllt.
"Die Kinder sind über sich herausgewachsen"
Was hat sich an Ihrer Schule durch den Austausch mit der Parterschule in Gandia verändert?
Wir sind stolz, dass wir den Mut hatten, mit unseren Förderschülern nach Spanien zu fahren. Das hat gezeigt: Grenzen gibt es für uns nicht. Das Lebenspraktische Training für Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf hat im Kollegium viel Wertschätzung erfahren. Durch die Reise sind die Kinder nicht nur über sich hinausgewachsen, ihnen wird auch mehr zugetraut.
Das Austauschprojekt “Inklusion trifft Emotion: Grenzen gibt es für uns nicht” wurde als Success Story 2024 ausgezeichnet. Was hat diese Auszeichnung bewirkt?
Wir haben viel Aufmerksamkeit in der Presse erhalten und gelten jetzt als »Leuchtturm« unter den Schulen im Umkreis. Auch die Schülerinnen und Schüler sind stolz auf die Auszeichnung und identifizieren sich noch viel stärker mit ihrer GSG Detmold.
Welche Tipps haben Sie für Schulen, die sich für solche Lernmobilitäten interessieren?
Suchen Sie sich Unterstützung im Kollegium. Man braucht jemanden, der sich mit Begeisterung und Energie für das Projekt einsetzt, und eine Schulleitung, die hinter einem steht. Außerdem empfehlen wir vorbereitende Besuche im Gastland, um sich ein Bild zu machen, ob Hotels und Transportmittel vor Ort barrierefrei sind. Hierfür können Erasmus+ Fördermittel beantragt werden.
