„Wir wollen selbstverständlich alle mitnehmen“
Die Berliner Charlotte-Salomon-Grundschule verbindet europäischen Austausch mit Inklusion. Für das Lehrerkollegium und die Schülerinnen und Schüler gilt: Alle sollen teilnehmen können.
Da die Schule einen Inklusionsschwerpunkt hat, gibt es in jeder Klasse auch Kinder mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen. „Aber wir haben von Anfang an gesagt: Alle müssen die Chance haben, mitzufahren“, betont Katrin Schneider. Das Schulteam hat dafür im Laufe der Zeit verschiedene Modelle entwickelt: „Man muss den Austausch für jedes Kind und jede Gruppe individuell anpassen und immer wieder neu entscheiden – beispielsweise, ob noch zusätzliches Betreuungspersonal mitfahren soll“, erklärt Katrin Schneider.
Sie unterrichtet als Englischlehrerin an der Charlotte-Salomon-Grundschule Berlin und engagiert sich dort seit 2005 für Austauschprojekte, die durch europäische Bildungsprogramme gefördert werden. DieGrundschule hatte im Laufe der Zeit Partnerschulen in Italien, Irland und Nordirland, England, Polen, Spanien, Bulgarien, der Türkei, Belgien, Island, Griechenland und Portugal, Rumänien und Frankreich. „Unsere allererste Schülerbegegnung fand mit einer Partnerschule aus Polen statt“, erinnert sich Schneider. „Da haben wir uns in Peenemünde mit zwei Klassen getroffen und uns zum Thema deutsch-polnische Geschichte ausgetauscht. Wir fahren seitdem eigentlich immer mit unseren Sechstklässlern, die sind zwischen elf und zwölf Jahre alt und damit die ältesten Kinder an unserer Schule.“
„Andere Schulen reisen mit vier oder fünf Kindern zu ihren Partnerschulen. Aber unser Selbstverständnis ist es, alle mitzunehmen. Das ist manchmal ganz schön sportlich – und immer großartig.“
Mit Grundschulkindern nach Island
Die Koordinatorin erinnert sich gerne an die Begegnung mit der isländischen Partnerschule im Frühjahr 2021: "Wir sind mit einer ganzen 6. Klasse angereist, einschließlich mehrerer Kinder mit Förderbedarf. Die Schülerinnen und Schüler schlafen in der Regel zu zweit bei den isländischen Gastfamilien. Für zwei Jungen mit dem Förderbedarf geistige Entwicklung und körperlich-motorische Entwicklung war das diesmal jedoch nicht möglich, da beide eine hohen Pflegebedarf haben. Beide wohnten dann gemeinsam mit uns Erwachsenen, darunter ihren jeweiligen Schulbetreuerinnen, in einem Hostel direkt neben der Schule und nahmen so an allen Aktivitäten teil. Hier seien nur zwei unserer schönsten Momente genannt: Mit dem geistig behinderten Jungen standen wir vor den Geysiren und er war völlig fasziniert davon - wir könnten ihn allerdings nur schwer davon überzeugen, dass sie echt sind. Der körperbehinderte Junge, der an Muskeldystrophie leidet, wurde von einem meiner Kollegen auf den Leuchtturm getragen und winkte uns von oben zu."
Neben den finanziellen Mitteln für inklusiven Austausch trägt die isländische Partnerschule viel zum Gelingen der Begegnungen bei. „Bei unserem vorherigen Austausch im Jahr 2020 war auch ein Junge mit Autismus dabei, der sehr gerne in eine Gastfamilie wollte“, berichtet Katrin Schneider. „Da hat eine isländische Sonderpädagogin ihn einfach zusammen mit seiner Schulbegleiterin und seinen beiden besten Freundinnen bei sich zuhause beherbergt. Für unsere Partnerschule in Island ist Inklusion selbstverständlich, sie sind darauf eingestellt, für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Bedingungen zu schaffen.“ Damit die Kinder schon vor dem Austausch miteinander erste Bekanntschaft schließen und miteinander kommunizieren können, nutzen die Lehrkräfte die sichere Plattform von eTwinning.
Über den Austausch
Förderformat: Akkreditierung (bis 2021 Austausch mit vorherigem Programm)
Koordinator: Charlotte-Salomon-Grundschule (Berlin)
„Für unsere Partnerschule in Island ist Inklusion selbstverständlich, sie sind darauf eingestellt, für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Bedingungen zu schaffen.“
Fortbildung und Hospitation für das Kollegium
Im Kollegium der Charlotte-Salomon-Grundschule gab es anfangs durchaus Vorbehalte gegen den europäischen Austausch. Manche der pädagogischen Fachkräfte waren sich beispielsweise nicht sicher, ob ihre Englischkenntnisse ausreichen würden. Deshalb versuchte die Koordinatorin, die auch selbst in der Lehrerausbildung tätig ist, zunächst möglichst vielen Personen im Kollegium eine Fortbildung mit Erasmus+ im Ausland zu ermöglichen. So konnten beispielsweise zwei Erzieher, die bislang wenig internationale Erfahrungen gesammelt hatten, an einer Fortbildung auf Kreta zum Einsatz von digitalen Medien im Unterricht teilnehmen.
Katrin Schneider erinnert sich: „Die beiden haben sich getraut, daran teilzunehmen – und es hat ihnen so gut gefallen, dass einer davon sogar später in Italien an einer Schule hospitiert hat. Das wäre vorher undenkbar gewesen.“ Ihrer Erfahrung nach braucht es meistens einen ersten Anstoß: „Wer einmal über den Tellerrand geschaut hat und weiß, wie es anderswo ist, der bekommt so viele Ideen und Eindrücke – das ist wirklich fantastisch und danach ist das Interesse an Austausch geweckt.“
Die Akkreditierung erleichtert den Austausch
Mittlerweile ist die Charlotte-Salomon-Grundschule auch bei Erasmus+ akkreditiert – eine große Erleichterung, denn nun können bis 2027 regelmäßig Schulbegegnungen, Fortbildungen und Hospitationen finanziert werden. „Für uns ist das eine Art Rundum-Sorglos-Paket“, freut sich Katrin Schneider. „Kein Vergleich mehr mit dem bürokratischen Aufwand, den wir früher für die Beantragung einzelner Projekte hatten.“
Einen thematischen Rahmen für den Austausch zu setzen ist aus Sicht der Koordinatorin trotzdem weiterhin sinnvoll, damit die Schülerinnen und Schüler auch inhaltlich und projektbasiert zusammenarbeiten. Das sei auch für ihre Kolleginnen und Kollegen motivierend, um sich mit ihren jeweiligen Unterrichtsfächern und individuellen Begabungen einzubringen. „Wir hatten beispielsweise schon ein sehr schönes Musikprojekt, bei dem wir gemeinsam mit den Partnern im Ausland getanzt und gesungen haben. Da hängt viel von den beteiligten Lehrkräften ab, ob sie damit etwas anfangen können – ich versuche hier auch immer, auf die Interessen meines Kollegiums einzugehen.“
Verborgene Talente entdecken
Was hat das Projekt für Ihre Schule bedeutet?
Die Kinder haben Videos gedreht und kleine Aufführungen gezeigt, dabei waren sie mit Kindern aus anderen Ländern verbunden. Das hat ihre Englischkenntnisse auf spielerische Weise aktiviert und ihren Blick nach außen geweitet.
Was waren für Sie persönlich die emotionalen Highlights des Projekts?
Wir haben die Kinder noch einmal auf eine ganz andere Art und Weise kennengelernt und Talente entdeckt, die im normalen Unterricht vielleicht verborgen geblieben wären. Das hat mich sehr gerührt.
Gilt das auch für die Kinder mit besonderen Bedürfnissen?
Absolut. Solche Projekte bieten tolle Möglichkeiten für die inklusive Arbeit. Denn hier kann sich jedes Kind mit seinen Interessen und Talenten einbringen.