Inklusion

Sportliches Miteinander fördert Inklusion

Sport verbindet, indem er Menschen mit und ohne Einschränkungen zusammenbringt. Das erleben Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried beim Austausch mit Erasmus+ in Kroatien und Rumänien.

Man muss die Ohren spitzen und genau hinhören, wo die Glöckchen erklingen. Denn sie verraten, aus welcher Richtung sich der Ball nähert, in dem die Schellen stecken. Bei der Sportart Goalball müssen die gegnerischen Teams möglichst viele Tore erzielen. Die beiden Mannschaften aus je drei Spielerinnen oder Spielern verlassen sich dabei auf ihr Gehör, da sie das Spielgeschehen nicht mit den Augen verfolgen können - entweder weil sie blind sind oder als sehende Athleten eine blickdichte Brille tragen müssen.

Diese paralympische Disziplin, die Menschen mit und ohne Sinneseinschränkungen zusammenbringt, fanden die Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried (IGMH) so spannend, dass sie sie in den Mittelpunkt ihres Erasmus-Projekts „Sport trifft Inklusion“ stellten. Ihr Lehrer, Christian Lorch, der den Anstoß dazu gab, erläutert seine Motivation: „Wir wollten bei den Jugendlichen Verständnis wecken für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und einen Perspektivwechsel anregen.“

Foto von Schülerin Athina mit Ball und anderen bunten Elementen

„Das Projekt hat mir völlig neue Perspektiven eröffnet. Durch Sport kann man sich näherkommen, selbst wenn man unterschiedliche Fähigkeiten hat.“

Jeder kann Höchstleistungen vollbringen

Als „Eliteschule des Sports“ ermöglicht die IGMH jungen Athletinnen und Athleten, Training und Unterricht miteinander zu verbinden. Mit Teamgeist, der hier gefördert wird, kooperiert die Erasmus-Gruppe auch mit ihren europäischen Partnern – einem Sportgymnasium im kroatischen Zagreb und einer technischen Oberschule im rumänischen Constanța. Das Projekttreffen an der Schwarzmeerküste wurde für die beiden Mannheimer Schülerinnen Athina Memic und Clara Sarah Reißmüller zum Schlüsselerlebnis. In einer Blindenschule in Constanța erklärte das Erasmus-Team den Kindern die Goalballregeln und wurde beim gemeinsamen Turnier prompt von den jungen rumänischen Amateuren geschlagen. Denn sie orteten die Glöckchen viel präziser.

Diese Erfahrung öffnete der 19-jährigen Sarah buchstäblich die Augen: „Dass sie viel besser als wir Sehende waren, zeigt mir, dass jeder besondere Talente besitzt. Früher habe ich Menschen mit Behinderung eher bemuttert und ihnen Dinge abgenommen, heute traue ich ihnen viel mehr zu“, sagt sie. Und die 20-jährige Athina reflektiert: „Das Projekt hat mir gezeigt, dass man sich durch Sport näherkommen kann, selbst wenn man unterschiedliche Fähigkeiten hat.“

Verzahnung von Theorie und Praxis

Christian Lorch sieht sich bestätigt, dass Schulen einen wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten können. Der bekennende Fan des Erasmus-Programms hat mit seiner Begeisterung weitere Kolleginnen und Kollegen angesteckt: Kerstin Burkardt, als Koordinatorin der Sport-Fachschaft, Christina Hund und Ingo Umstätter. Das ehrgeizige Ziel des Teams: „Wir wollten den Jugendlichen ermöglichen, paralympische Sportarten auszuprobieren und eigene Unterrichtseinheiten zu konzipieren,“ so Christian Lorch.

Noch bis August 2023 sammelten die Schülerinnen und Schüler aus den Partnerländern Ideen, tauschten sich bei ihren digitalen und persönlichen Treffen aus und teilten ihre Erfahrungen. Sie trafen Athletinnen und Athleten mit körperlichen Beeinträchtigungen, die Höchstleistungen vollbringen, erprobten paralympische Disziplinen wie Sitzvolleyball und Judo für Sehbehinderte und erarbeiteten schließlich eigene Unterrichtskonzepte für Goalball. Ingo Umstätter erläutert: „Sie versetzten sich in die Rolle blinder Spielerinnen und Spieler und entwarfen methodische Übungsreihen und technische Trainingseinheiten. Dass sie diese in der Sehbehindertenschule in Rumänien ausprobieren konnten, war für sie das Highlight des Projekts.“

Deaf Change Makers

Zeichensprache statt gesprochenes Wort: Um das das Empowerment von tauben Schülerinnen und Schülern geht es bei der Kooperationspartnerschaft “Sign Language for Changemaking”.

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Inklusion als persönliche Bereicherung

Ein Film der Erasmus-Partner, der das Projekt in Constanța in allen drei Landessprachen dokumentiert, zeigt freudestrahlende Akteure. Athina Memic erzählt stolz, dass sie für den Schnitt verantwortlich war. Für sie ist Inklusion zu einem persönlichen Anliegen geworden. „Ich möchte mein Wissen gerne weitergeben, und wenn ich studiere, einen Goalball-Club an der Uni gründen.“ Auch Clara Sarah Reißmüller betrachtet das Projekt als persönliche Bereicherung: „Ich bin froh, dass meine Schule mich auf dieses wichtige Thema aufmerksam gemacht hat.“

Durch das Erasmus-Projekt haben sich zudem außerschulische Partnerschaften entwickelt, beispielsweise mit dem Olympischen Sportbund und der Lebenshilfe e. V. Besonders eng kooperiert die IGMH mit der Schloss-Schule im baden-württembergischen Ilvesheim, die den Förderschwerpunkt Sehen anbietet. „Wir möchten den Jugendlichen dort nach ihrem Realschulabschluss einen Weg zu uns anbieten, bis zum Abitur – und das auch über den Sport“, wünscht sich Christian Lorch. Kooperation ist das Ziel. Und Konkurrenz gibt es höchstens dann, wenn die Schulteams bei Goalball-Turnieren gegeneinander antreten. Doch wie auch immer die Spiele ausgehen – am Ende gewinnt die Inklusion.

Mut zur Veränderung durch Erasmus+

Christian Lorch unterrichtet nicht nur Englisch und Geschichte an der IGMH, sondern ist auch Eishockey-Trainer an seiner Schule. Für Erasmus+ an seiner Schule engagiert er sich seit 2017.
 

Was hat das Inklusionsprojekt an Ihrer Schule bewirkt?

Bei uns gab es bereits Inklusion in den Bereichen Lernbehinderung und Sport, doch es fehlte die Schnittmenge. Das Erasmus-Projekt hat uns motiviert, ein umfassendes Inklusionskonzept zu erarbeiten und uns als Erasmus-Schule zu akkreditieren. Und nicht zuletzt ist unser Sportangebot durch Goalball inklusiver geworden.
 

Wie haben Sie das Projekt während der Coronapandemie gemeistert?

Es war eine Herausforderung, weil man sportliche Aktivitäten ja nicht virtuell durchführen kann. Doch durch Videokonferenzen sind die europäischen Jugendlichen in Kontakt geblieben und haben schwierige Phasen gemeinsam bewältigt. Außerdem haben wir außerschulische Experten zu unseren „Virtual Days“ eingeladen und sie real getroffen, als wir wieder reisen konnten. Besonders beeindruckend war der Workshop mit blinden Judoka am Stützpunkt Heidelberg.
 

Wie klappte die Kooperation mit den Projektpartnern?

Für mich ist das Besondere, dass jeder der Partner etwas Eigenes mitbringt und es mehr Gemeinsames als Trennendes gibt. Und selbst kleine Hürden, seien es Sprachbarrieren oder unterschiedliche Herangehensweisen, überwindet man zusammen.